Kolumne Februar 2025

Macht oder Einfluss?

Rina Mayer

Wie ein Virus vermag sie es, sich auszubreiten. Je mehr manche Menschen sie innehaben, desto mehr scheinen sie davon haben zu wollen. Wie bei Abhängigkeiten oder Süchten entsteht mit ihr ein allmählicher Gewöhnungseffekt, der stetig nach höheren Dosen verlangt. Oft ist sie an bestimmte gesellschaftliche Rollen gekoppelt: Das Staatsoberhaupt, UnternehmerInnen, CEOs, den Klerus, ÄrztInnen, RichterInnen, PolizistInnen, PolitikerInnen. 

Sie macht mit jedem etwas – Die Macht.

Mit jeder zusätzlichen Qualifikation, mit jeder weiteren Stufe, die erreicht wird, mit jedem neuen Rang oder Status, der gewonnen wurde, ändert sich der Umgang. 

Ich habe es selbst erlebt. Von einem Tag auf den anderen wurde ich als ein anderer Mensch wahrgenommen. Dabei habe ich mich innerhalb eines Tages kaum verändert. Was neu hinzukam, war meine Rolle Pfarrerin zu sein. Es ist eine Rolle, die mir als Person stärker anhaftet, als ich vermutet hatte. Der Beruf und die damit verbundenen Aufgaben sind ausgesprochen spannend, sinnstiftend und sehr erfüllend. Die Rolle öffnet Türen, bringt mich in Kontakt mit unterschiedlichsten Milieus und Kreisen, gibt mir bei vielen Menschen einen Vertrauensvorschuss, den ich mir nicht erarbeiten oder aufbauen musste. Meine Möglichkeiten haben sich durch die Rolle erweitert. Während ich als Privatperson mehr Einschränkungen erfahre, habe ich in der Rolle neue Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten bekommen. Diese sind mit einer zunehmenden Verantwortung verbunden.

Während meines Ausbildungsweges war ich häufiger als heute Ohnmachtsgefühlen ausgesetzt und habe in dem Zuge einen Text geschrieben. Er fragt nach dem Unterschied zwischen Macht und Einfluss, der für mich damals sehr spürbar war.

Woran merkst du, dass du Macht hast?

Woran merkst du, dass du Einfluss hast? 

Sind dir die Menschen untergeben oder treu ergeben?

Tun sie die Dinge, weil sie es müssen oder weil sie es wollen?

Folgen sie dir blind oder vertrauen sie dir blind?

Wetteifern sie mit dir oder eifern sie dir nach?

Stimmen sie nur zu oder stimmen sie auch ab?

Denken sie nur, was sie sagen oder sagen sie, was sie denken?

Im Gegensatz zu Menschen, die Einfluss nehmen und damit andere stärken und Umstände verändern wollen, beabsichtigen es die meisten „Macht-haber“, Menschen beherrschen, kontrollieren, unmündig und abhängig machen zu wollen, um damit ihr eigenes Ego zu stärken. 

Während Macht gegen die Interessen der anderen einwirkt, verletzt Einfluss nicht deren Interesse, Freiheit und Würde.

Demzufolge bedingen sich Einfluss und Macht wechselseitig: Je mehr Macht ausgeübt wird, desto weniger Einflussnahme kann geschehen. Denn Einfluss kann nur auf der Basis von Freiheit und Anerkennung der Würde jedes Einzelnen wirksam werden.

Autor/in

Rina Mayer

Pfarrerin