Thiemes Zettel vom 03.05.2021

Dr. Christian Thieme

Zweimal "Fürstenspiegel":
Zwei Ethiken, und dahinter zwei Menschenbilder

Richtig gute Geschichten nehmen ihren Ausgangspunkt im klassischen Griechenland. Na ja, alle nicht, das will ich gern zugeben. Manche sind einfach nur modern, und das wäre ja auch schlimm, wenn es solche nicht gäbe. Und andere sind zwar auch sehr alt, aber nicht von "hier", also nicht aus der Wiege Europas. Nehmen wir Sunzi, den chinesischen General mit seiner "Kunst des Krieges", geschrieben um 460 v.Chr..

Gleich in der Einleitung führt der Text in großer Brutalität vor, was militärische Disziplin zu bedeuten hat. Unter dem ausdrücklichen Protest des Kaisers lässt Sunzi dessen beide Lieblingskonkubinen enthaupten, und dies allein zum Zweck einer lächerlichen Demonstration von Macht und Befehlsgewalt. "Befehl ist Befehl" oder: Individuum gegen Obrigkeit – Spielstand null zu eins. Man muss wohl davon ausgehen, dass die Partei "Individuum" ihren Rückstand danach in keinem Jahrhundert je wettmachen konnte.

Nahe an der Gegenwart – für viele war es bereits bewusst erlebte Gegenwart –, gibt es eine Ausnahme. Es ist der Fall des Станислав Евграфович Петров, bei uns geschrieben als Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow, dessen befehlswidriges Verhalten wahrscheinlich einen Atomkrieg und damit den Dritten Weltkrieg verhindert hat. Seine Großtat bestand darin, dass er in den 1980-er Jahren einen Raketen-Alarm seines Abwehrsystems richtigerweise, aber eigenmächtig, als Fehlalarm eingestuft hat. Sein Befehl hätte gelautet, jeden solchen Alarm bedingungslos und augenblicklich der politischen Führung zu melden. Das Zeitfenster für die Entscheidung über eine militärische "Reaktion" auf den vermeintlichen US-Angriff hätte ab dieser Meldung nur wenige Minuten betragen. Welch hautnahe Gegenwart das war, erfuhr die Welt erst später. Diese Runde ging ausnahmsweise an die Partei "Individuum".

Individuum gegen Obrigkeit bzw. Staatsraison, das ist auch das Drehbuch für "Erasmus von Rotterdam gegen Machiavelli". Die Anführungszeichen resultieren daher, dass beide nicht wirklich gegeneinander angetreten sind. Vom Inhalt her gesehen ist die Formulierung trotzdem berechtigt.

Beide Texte wurden zwar ziemlich zeitgleich geschrieben, aber zunächst hatte keiner der beiden Autoren Kenntnis von der Schrift des anderen erlangt. Der "Fürst" wurde 1513 verfasst, erschien aber erst 1532, also fünf Jahre nach Machiavellis Tod, während der Text von Erasmus 1515 verfasst wurde und im selben Jahr auch erschien.

Die Gattung des "Fürstenspiegel" hatte in den Jahrhunderten zuvor bereits etliche Arbeiten hervorgebracht, die allesamt auf Plato und Aristoteles zurückzuführen sind. Die Texte vor Machiavelli gingen allesamt von einem Staatsverständnis aus, bei dem das gedeihliche Leben des Einzelnen im Mittelpunkt zu stehen hatte, und zielten folglich darauf ab, den jeweiligen Machthaber mit den dafür angemessenen Tugenden auszustatten. Machiavelli vollzog einen radikalen Schnitt und positionierte seinen Text ausdrücklich als Gegenentwurf zu "allen anderen". Dementsprechend steht sein Wertekanon im scharfen Gegensatz zum bisherigen, den der Humanist Erasmus in seiner Interpretation des Themas unverändert hochhält. Die Thesen von Machiavelli schockieren bis heute durch ihre unverblümte Offenheit. Aber gehen beide wirklich von einem unterschiedlichen Wertekanon aus? Machiavelli legt Wert auf die sorgsame Unterscheidung zwischen dem Wünschenswerten und dem Realistischen. Was der Mann "im Innersten gedacht" hat, darüber lässt sich nur spekulieren. In den Discorsi immerhin gibt es sich als überzeugter Republikaner, und auch im Principe, also Fürst, schimmert diese Haltung durch.

Der subtilere Grund meines Interesses an Machiavellis Text, weshalb ich ihn hier vorstelle und mit dem Werk von Erasmus vergleiche, liegt nicht in seinem staatsphilosophischen Gedankengut per se. Vielmehr beschäftigt und teilweise beunruhigt mich die Faszination, die von ihm auf die Vorstellung vom modernen Zusammenleben auszugehen scheint, namentlich in der Wirtschaft: Sowohl Machiavelli als auch Sunzi inspirieren die Phantasie von Management-Beratern. Die Suchanfrage "Machiavelli für Manager" liefert die publizierten Vorlagen, aus denen sich Unternehmensberater aller Ligen – von den Amateuren bis hinauf zur Champions League – bedienen können. Wie oft sie es tatsächlich tun, bleibt freilich deren Betriebsgeheimnis. Allzu selten wird es freilich nicht sein, und dies wirft die Frage auf, welche Ethik des Miteinanders und welche Wirtschaftsethik wir in der modernen Gesellschaft gerne hätten. Zum Vergleich: Die Suchanfrage "Erasmus für Manager" führt – wenig überraschend – "lediglich" zu den verdienstvollen Programmen der EU für Austausch und Verständigung.

Insgesamt haben wir es mit zwei umfangreichen Texten zu tun, die ich anhand wesentlicher Thesen einander gegenüberstelle, exemplarisch und hoffentlich repräsentativ. Der von Machiavelli ist leicht zu beschaffen, bei Erasmus ist das Angebot schmaler. Ich habe folgende Ausgaben benutzt:

Erasmus von Rotterdam, Die Erziehung des christlichen Fürsten, Ausgewählte Schriften, Hrsg. Werner Welzig, Fünfter Band, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1968.
Niclolò Machiavelli, Hrsg.: Philipp Rippel, Il Principe/Der Fürst, Italienisch/Deutsch, Reclam 1219, 1986.
Für die einzelnen Zitate gebe ich jeweils die entsprechende Seitenzahl an.

Erasmus oder Machiavelli: Anstand und Moral ohne Politik oder umgekehrt?

Desidrius Erasmus by Hans Holbein
Desidrius Erasmus, von Hans Holbein,
Quelle: Wikipedia
Portrait of Niccolò Machiavelli by Santi di Tito
Niccolò Machiavelli, von Santi di Tito,
Quelle: Wikipedia

Erasmus: Kannst du endlich die Herrschaft nur durch Verletzung der Gerechtigkeit, durch Blutvergießen oder durch unermesslichen Schaden für die Religion schützen, dann lege sie eher nieder und weiche den Zeitumständen. Kannst du aber das Hab und Gut deiner Untertanen nur unter Gefahr deines Lebens schützen, dann ziehe den Schutz der Allgemeinheit deinem Leben vor. Aber solange du handelst, wie es die Pflicht eines christlichen Herrschers ist, werden vielleicht einige dich dumm nennen und sagen, du seiest zu wenig Herrscher. Stärke dein Herz, dass du lieber ein gerechter Mann als ein ungerechter Fürst sein willst (S. 145).

Machiavelli: … insbesondere, da ich bei der Erörterung dieses Themas von den Argumenten der anderen abweiche. Da es aber meine Absicht war, etwas Nützliches für den zu schreiben, der es versteht, schien es mir angemessener, der Wirklichkeit der Dinge nachzugehen als den bloßen Vorstellungen über sie. Viele haben sich Republiken und Fürstentümer vorgestellt, die nie jemand gesehen oder tatsächlich gekannt hat, denn es liegt eine so große Entfernung zwischen dem Leben, wie es ist, und dem Leben, wie es sein sollte, dass derjenige, welcher das, was geschieht, unbeachtet lässt zugunsten dessen, was geschehen sollte, dadurch eher seinen Untergang als seine Erhaltung betreibt; denn ein Mensch, der sich in jeder Hinsicht zum Guten bekennen will, muss zugrunde gehen inmitten von so viel anderen, die nicht gut sind. Daher muss ein Fürst, wenn er sich behaupten will, die Fähigkeit erlernen, nicht gut zu sein, und diese anzuwenden oder nicht anzuwenden, je nach dem Gebot der Notwendigkeit (S. 119).

Erasmus oder Machiavelli, welchen hätten wir gerne? Anstand und Moral ohne Politik oder Politik ohne Anstand und Moral? – Ich brauche den Gegensatz nicht aufzubauschen, er ist real. Für real halte ich aber auch das Bedürfnis, zwischen diesen Extremen eine vermittelnde, für praktische Politik vermittelbare "Mitte" zu finden. Klar ist, die Position von Erasmus (ich nenne sie "E") kann man nicht und die Position Machiavellis (im Folgenden "M") will man nicht wollen. Irgendwo auf dem Schieberegler zwischen E und M sollte der richtige Punkt zu finden sein – aber wo? Wieviel E ist möglich, und wieviel M muss sein?

Beispiele für die Problematik liefern sowohl die Tagesschau als auch die Zeitgeschichte: Als der moralische Scherbenhaufen, den das deutsche Volk in den Jahren zuvor aufgetürmt hatte, 1945 für alle so offensichtlich geworden war, dass sich dem keiner mehr entziehen konnte, war für alle, die den Neubeginn wirklich wollten, wohl klar, dass dieser möglichst weit entfernt von Machiavelli liegen musste. Paradigma konnte nicht länger irgendein übermächtiges Volks- oder Staatswohl sein. Die Maxime "Du bist nichts, dein Volk ist alles" hatte sich erledigt, und nicht nur sie, und das wirkt nach bis heute. Ich gestehe freimütig, dass ich manche Texte bis heute mit einer ängstlichen Reserviertheit ansehe, die einzig durch den Sturm des Faschismus verursacht ist, obwohl ich von ihm in jeder Hinsicht unbelastet bin. Wie also mag es damals gewesen sein? Nicht von Ungefähr, wenn auch vielleicht zu Unrecht, hatte der Faschismus in Person von Mussolini ja auch Machiavellis Text usurpiert.

Der politische und moralische Neubeginn musste zwangsläufig ganz weit auf der anderen Seite des Spektrums liegen, ganz nahe also an den Werten einer Ethik der persönlichen Verantwortung. Was also lag (neben der Anknüpfung an die Werte der Arbeiterbewegung!) näher, als eine neue Partei mit dem "C" im Namen zu gründen. Dass die Union an diesem "C" scheitern musste, hätte jeder distanzierte Analytiker bereits am Tag der Gründung vorhersagen können. Aber ist sie wirklich gescheitert? Die Antwort heißt "ja", solange jemand fordert, die Position E dauerhaft und ungeschmälert zur politischen Maxime zu machen, was anfänglich, unter dem Eindruck der unmittelbaren Vergangenheit, durchaus der Plan gewesen sein mag. Funktionieren in Reinform konnte er auf Dauer nicht, insoweit hatte und hat Machiavelli schon Recht. Was also hat das "C" im Namen bewirkt? Hat es eine Politik hervorgebracht, die zumindest näher bei E und weiter weg von M gewesen ist als ohne das "C"?

Mit diesem "C" im Namen wird die Union gleichzeitig von zwei Seiten angreifbar: Sowohl mit dem Vorwurf einer zu großen Nähe zu M (d.h. zu wenig "C") als auch mit dem Vorwurf einer nicht zielführenden Politik aufgrund einer zu großen Distanz zu M, auch wenn letzteres niemand je so formulieren würde. Erasmus hätte das Problem an der moralischen Integrität des Fürsten festgemacht, in der modernen Demokratie zählen die Wahlchancen. Praktisch gesehen läuft beides aufs gleiche Dilemma hinaus. Freilich steht die Union mit diesem nicht allein. Sozialdemokraten und zunehmend auch Grüne stehen in Bezug auf ihre jeweilige Wertebasis vor analogen Herausforderungen. Nur wer klein genug ist, um sich von jeder Gesamtverantwortung fernhalten zu können, hat vielleicht die Chance, politisch unbeschwert zwischen Ethik und Kalkül hin und her zu kreuzen, als hätte es Skylla und Charybdis nie gegeben.

Krieg und Krise

Erasmus: … so muss der Herrscher doch zuerst und vordringlich in den Grundsätzen unterwiesen werden, ( … ) mit deren Hilfe er im Verhältnis zu seinen Kräften versuchen muss, auf das Unternehmen des Krieges gänzlich zu verzichten (S. 251).

Ein Vertrag soll zu dem Zweck geschlossen werden, einen Krieg zu beenden. Heute aber berufen sie sich auf einen Vertrag und schließen ihn schon in der Absicht, einen Krieg zu entfesseln. (… ) Die Herrscher müssen so verlässlich sein in dem, wofür sie einstehen, dass ein einfaches Versprechen ihrerseits heiliger ist als irgendein Eid anderer (S. 319).

… weil zwar auch aus anderen Gegebenheiten Nachteile entstehen können, aus einem einzigen Krieg aber der Untergang alles Wertvollen seinen Anfang nimmt und aus ihm ein Meer von Unheil hervorströmt (… ) Krieg entsteht aus Krieg (S. 339).

Machiavelli: … was alle klugen Fürsten tun müssen: diese haben nicht nur auf die gegenwärtigen Unruhen zu achten, sondern auch auf die zukünftigen, und müssen sie unter Aufbietung aller Kräfte im Keim ersticken (S. 21).

… Daher haben die Römer, wenn sie Missstände voraussahen, stets Abhilfe geschaffen; und sie ließen sich jene nie lange hinziehen, nur um einem Krieg aus dem Wege zu gehen; denn sie wussten, dass man den Krieg nicht abschaffen, sondern nur zum Vorteil der anderen aufschieben kann (S. 23).

Beim Thema Krieg habe ich gezögert, ob ich es hier aufnehmen möchte, weil natürlich heute, unter der Drohung des Atomkriegs, auch Machiavelli anders argumentiert hätte. Ich habe mich dann aber entschlossen, "Krieg" als Metapher für Konflikte schlechthin und den Umgang mit ihnen zu betrachten, und damit bekommt das Kapitel einen aktuellen Sinn. Dies entspricht ja auch der generellen Lesart, mit der wir Modernen auch an andere Kapitel herangehen.

Würde einer wie Machiavelli sich jemals, wie Erasmus an anderer Stelle (S. 343) rät, neben sich stellen und die Berechtigung seines Anliegens von dort aus relativieren? Niemals! Machiavelli kennt nur "Missstände". Die Frage nach der Ursache des Konflikts oder der Sicht der anderen stellt er nicht. Erneut öffnet sich hier die Kluft zwischen der Individual- und der politischen Ethik. Machtpolitik und Selbstzweifel schließen sich gegenseitig aus.

Im gerade genannten Sinn ist die Außenpolitik lediglich als Beispielfall für andere Bereiche zu sehen. Innenpolitik, Arbeitswelt, Freundeskreis – ja sogar die eigene Partnerbeziehung: Auf all diesen Feldern stellen sich dieselben Fragen. Will ich sofort "dreinschlagen", wenn ich die Möglichkeit dazu habe, oder zuwarten, um mit Geduld zu vermitteln und so die Parteien vielleicht noch zusammenzuführen? Wiederum bietet sich keine einfache Antwort an. Clankriminalität wird sich nur noch schwer bekämpfen lassen, wenn sich bereits erste "U-Boote" im Polizeiapparat festgesetzt haben. Krisen in der Familie dagegen werden sich nicht lösen lassen, wenn der mächtigste Akteur in bester machiavellistischer Manier beim ersten Anzeichen eines Problems sofort das Kriegsrecht verhängt. Und dazwischen liegen alle Schattierungen, die das Leben bietet. Die Frage "E oder M" sollte sich in kritischen Situationen jede(r) selbst stellen und erst danach entweder zuwarten bzw. vermitteln oder losschlagen.

Erasmus und Machiavelli: Zwei Ethiken, und dahinter zwei Menschenbilder

Unsere Analyse spränge zu kurz, wenn sie die Divergenzen zwischen beiden allein über ihre unterschiedliche Herangehensweise, also persönliche Ethik versus der politische Rationalität, erklären wollte. Dieser Unterschied der Herangehensweise wäre nämlich auch dann möglich, wenn beide von genau demselben Menschenbild ausgingen, was sie aber ganz und gar nicht tun. Freilich, der Mensch ist so, wie er eben ist. Bis dahin hätten sie beim Menschenbild wohl noch Konsens, die Aussage ist ja auch banal genug. Wobei sich aber sofort die Frage aufdrängt, wer denn "der" Mensch sein soll. Wieviel Verallgemeinerung ist praktisch nützlich, wieviel ist empirisch gerechtfertigt, und wie viel (wie wenig) ist ethisch angemessen? Und schon passt es nicht mehr zusammen. Machiavelli tut, was praktisch funktioniert, und fragt nicht weiter nach, ob es bei manchen auch anders ginge. Bei Erasmus steht das christlichethische Gebot im Vordergrund, und dies beinhaltet, sich jedem Menschen individuell zuzuwenden. Erziehung spielt dabei eine wichtige Rolle.

Erasmus: Auf diese Weise (Erasmus spricht zuvor ausführlich über die Notwendigkeit einer gewissenhaften, christlichen Kindererziehung) wird es dazu kommen, dass man nicht viele Gesetze oder Strafen braucht, da die Bürger aus freien Stücken tun, was Recht ist (S. 267).

Machiavelli: Es gilt also festzuhalten, dass man die Menschen entweder verwöhnen oder vernichten muss; denn für leichte Demütigungen nehmen sie Rache, für schwere können sie dies nicht tun (S.17).

… denn die Liebe wird durch das Band der Dankbarkeit aufrechterhalten, das, weil die Menschen schlecht sind, von ihnen bei jeder Gelegenheit um des eigenen Vorteils willen zerrissen wird (S.131).

Im Detail skizziert Erasmus die notwendigen (Erziehungs-)Inhalte, von denen auch der Fürst selbst durchdrungen sein muss: das "wahre" Glück, die "wahre" Freiheit und ein angemessenes Verständnis von Gerechtigkeit, deren Ziel nicht, modern würde man sagen: Gleichmacherei, sein kann. Welches Kriterium er dabei als Maßstab der Gerechtigkeit sieht (Leistung? Bedürfnis?) bleibt zwar offen, aber er denkt wohl an das Kriterium von Leistung bzw. Verdienst.

Die Frage, ob das Anerkennen sichtbarer Ungleichheiten tatsächlich und allein durch Erziehung bewirkt werden kann (Stichwort: nicht viele Gesetze oder Strafen), stellt sich Erasmus offenbar nicht: Ich verdiene tausend, mein Nachbar nur hundert, und es braucht kein Gesetz, um die tausend von den hundert abzuschirmen? Machiavelli würde darauf keinen einzigen Gedanken ver(sch)wenden. Für sein Vorgehen spielt eine subtile Betrachtung, bis wohin auf Freiwilligkeit zu setzen ist und ab welchem Punkt Zwang hergehört, auch keine Rolle. Zu viel Abneigung und Frustration über das Menschengeschlecht liegt in seinen Sätzen. Die Menschen sind schlecht. Die Universalität der Feststellung im Verbund mit der banalen Selbstverständlichkeit, mit der sie vorgetragen wird, wirkt beklemmend. Leidet er denn wenigstens daran, an dieser seiner Erkenntnis, oder ist sie das unspektakuläre Resultat einer durch und durch emotionslosen Analyse? Fragen können wir ihn das nicht.

Der Umgang mit der Macht: wie machiavellistisch ist Machiavelli?

Machiavelli gehört zu den wenigen Autoren, aus deren Namen sich ein Attribut bilden lässt, das sich sogar dann benutzen lässt, wenn jemand dazu keine einzige Zeile O-Ton gelesen hat: "machiavellistisch", wobei aber durchaus nicht alle Empfehlungen Machiavellis in diesem Sinn machiavellistisch sind. Einige markante Beispiele für Machiavellis Umgang mit Macht und Menschen will ich in meiner Auswahl abschließend zeigen. Erasmus hat dem nichts Spektakuläres "entgegenzusetzen", so dass ich auf die Gegenüberstellung verzichte. Um den Abschnitt kompakt zu halten, verzichte ich zudem auf wörtliche Zitate.

  • Gut angewandt sind Grausamkeiten, die man auf einen Schlag ausführt. Schlecht ist es, wenn sie nach zu zögerlichem Beginn später zunehmen. Nach der Grausamkeit möglichst Wohltaten spenden (S. 73).
    Kurz zur Ehrenrettung:. Machiavelli sagt: gut, wenn es erlaubt ist, vom Schlechten etwas Gutes zu sagen.
  • Furcht verbreiten: Ja. Aber keinen Hass! Und keine Hinrichtung ohne offensichtliche Rechtfertigung (S. 131)
  • Fürsten, die ihr Wort nicht halten und andere mit List hintergehen, sind, das zeigt die Erfahrung, denen überlegen, die auf Redlichkeit gebaut haben (S. 135).
  • Gute Eigenschaften: Man muss sie nicht besitzen. Das kann sogar schädlich sein. Nützlich ist der Anschein, sie zu besitzen (S. 139).
  • Gut sein, solange es möglich ist, aber sich bei Bedarf zum Bösen wenden (S. 139).
  • Alle sehen, was du scheinst. Nur wenige erfassen, was du bist, und diese wagen nicht der Meinung der Mehrheit über dich zu widersprechen (S.139).
  • Hauptsache Erfolg. Das imponiert dem Pöbel, und auf der Welt gibt es nur Pöbel (S. 141).
  • Gunstbeweise selbst spenden, Grausamkeiten delegieren (S. 149).
  • Wenn du auf eine sittlich verdorbene Partei angewiesen bist, füge dich und sei ebenfalls verdorben (S.153).
  • Frühere Feinde werden zu die wertvollsten, loyalsten Gefolgsleute, wenn sie die Chance sehen, die vormals schlechte Meinung umzudrehen und ihren Rang zu sichern (S. 169).
  • Intelligente Fürsten erkennt man an der Intelligenz der engsten Mitarbeiter (S. 181).
  • Wichtige Mitarbeiter reich genug machen, dass sie eine Änderung der Verhältnisse fürchten (S. 183).
  • Mitarbeiter haben keine Meinung zu äußern. Ausnahme: wenige Ausgewählte, und auch sie nur, wenn der Fürst sie fragt (S. 185).

Politik und "Leben": gelten für beides die gleichen Gesetze?

Wer heute die Texte von Erasmus und Machiavelli liest, will nicht Fürst werden. Entweder liest er oder sie sie aus philosophischem bzw. historischem Interesse oder aber (auch) zur Inspiration für den eigenen Alltag, und hier vielleicht speziell im Beruf. Dass dort nämlich andere Regeln zu gelten haben als in der eigenen Familie oder beim Umgang mit Freunden, würden viele unterschreiben. Wie also will ich mich im Beruf verhalten? Genauer gefragt: Wie will ich meine Macht einsetzen, wenn meine Berufstätigkeit mich mit Macht ausstattet (die bescheiden oder riesig sein kann, das spielt für die ethische Haltung keine Rolle). Noch genauer gefragt: Ist der Verstoß gegen ethische Prinzipien für mich etwas, was ich jedes Mal kritisch hinterfrage und versuche, wenn irgend möglich zu vermeiden, oder ist es der pragmatische Normalfall? Da haben wir es schon wieder, das machiavellische "irgend möglich".

Und wenn mich die Frage nicht als Akteur betrifft, so betrifft sie mich doch immer noch als Betroffenem: Nach welchen Regeln soll das System "ticken", das meinen Wohlstand generieren soll? Investitionen an Menschenrechte koppeln, ja oder nein oder "manchmal"? Compliance und Transparenz sind sichtbare Schritte zu mehr Ethik. Aus früheren Erzählungen erinnere ich mich, dass bestimmte Aufwendungen für Bestechung, die heute geahndet werden, in den Jahrzehnten nach dem Krieg von Konzernen offenbar noch als "nützliche Ausgaben" steuermindernd geltend gemacht werden konnten.

Mir persönlich hat die Lektüre von Machiavellis Text im Beruf ab und zu geholfen. Schrecksekunde? – Keine Sorge, ich will es erklären. Machiavelli hat mit seiner grundlegenden Aussage, ich habe sie oben zitiert, ja Recht: Alle Verhaltensweisen von Mächtigen, die er beschreibt, kommen in der Realität vor. Die Frage ist, ob sie regelhaft vorkommen oder nur vorkommen können. Das mag vielleicht davon abhängen, welchen Ausschnitt von Realität einer gerade betrachtet. Wie groß ist also mein Risiko, wenn ich mich weigere, in meiner eigenen Handlungsweise selbst "machiavellistisch" zu werden? Die eigene Erfahrung spricht dafür, dass "Machiavellifreie" Zonen an manchen Stellen möglich sind, wenn auch vielleicht mit anfänglichen Risiken und Rückschlägen. Mehr noch: Prinzipien wie Wertschätzung und das verlässliche Einhalten gegebener Zusagen sind sogar echte Erfolgsfaktoren. Auch hierzu gibt es Literatur für Manager. Manchmal gehen Ethik und "Monetik" eben doch Hand in Hand.

Das Beste aber zuletzt, und dieses Beste ist leider kein bisschen gut: Niemand ist zuverlässig davor geschützt, auch ich nicht, dass nicht Mächtigere versuchen können, ihre machiavellistischen Praktiken gegen mich einzusetzen. Sie zu kennen, erleichtert mir den Umgang mit ihnen. Wenn ich vorhersehe, wann einer angreifen will und mit welchen Mitteln, kann ich mich besser schützen. Dafür sind die Bücher von Machiavelli und Sunzi allemal gut.

Wie (un)ethisch also ist Machiavellis Ethik, und wie realistisch die von Erasmus?

Ethische Fragen, die sich vermeintlich mit wenigen Absätzen ein für alle Mal klären lassen, sind entweder keine wirklichen, oder die Antwort ist nicht hinreichend durchdacht. Vielleicht aber regt die gezeigte Vielfalt dazu an, die eine oder andere Frage aus dem eigenen Umfeld neu zu denken, oder sie sogar erst als Frage wahrzunehmen?

Von Dr. Christian Thieme

 

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