Kolumne Juni 2022
Meister Eder und seine Gemeindekobolde
Pumuckl hat sich wieder einmal mit dem Schreinermeister Eder gezankt. Voller Zorn hüpft der klei-ne Kobold in der eingelassenen Badewanne oben in der Wohnung auf sein Schiff – ein wackeliges Holzbrettchen. Es kommt, wie es kommen muss: der rothaarige Kobold fällt von Bord und droht zu ertrinken. Meister Eder hört die Hilfeschreie an der Hobelmaschine unten in der Werkstatt nicht.
Auch unser Schiff, das sich Gemeinde nennt, kommt mir aktuell sehr wackelig vor. Ein Fünftel unse-rer Passagiere ist in den letzten Jahren von Bord gegangen. Die Rumpfbesatzung arbeitet am Limit. Ein neuer erster Kapitän steht noch nicht auf der Brücke. Ein kürzender Landesstellenplan-Sturm mit schwächender Langzeitwirkung dräut nachtschwarz am Horizont. Schlotternd klammern sich die letzten Matrosinnen und Matrosen an die morschen Planken. Hört unser Schreinermeister Eder, der Zimmermannssohn Jesus, die Hilfeschreie seiner Gemeindekobolde?
Annegert Fuchshuber (1940-1998) – Sturmstillung
„Der Wind pfiff. Das Segel flatterte. Die Wellen schlugen über Bord. Schon begann sich das Schiff mit Wasser zu füllen. Jesus jedoch schlief ruhig im Heck des Bootes auf einem Kissen.“ So berichtet unsere schön illustrierte Kinderbibel und fährt fort: „Voller Angst weckten ihn einige und sagten: ‚Meister, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen?“
Wir wissen alle, wie die Geschichte weitergeht. Jesus wacht auf. Er gebietet den Wellen. Er stillt den Sturm. Das Schiff geht nicht unter. „Warum habt ihr solche Angst?“, fragt der Meister seine schlotternden Jünger, „Habt ihr noch immer kein Vertrauen?“
Im Blick auf unser Starnberger Seeschiffchen möchte ich ihm antworten: Ja, Meister, wir haben Angst. Die Wellen sind hoch. Der Orkan dauert noch an. Die Kräfte sind überschaubar. Aber du hörst uns. Ja, wir vertrauen dir. Du bist wach. Es kümmert dich. Wir kümmern dich. Auch diesen Sturm wirst du stillen. Ja, auch wir werden sagen: „Was ist Jesus für ein Mensch, dass ihm sogar Wind und Wellen gehorchen?“ Und wie der Meister Eder seinen Pumuckl wirst du deine Gemeinde rechtzeitig mit starker Hand aus dem Wasser ziehen – pudelnass, japsend, aber gerettet, versöhnt und lebendig.
Ihr
Dr. Philipp Hildmann
Kolumne Mai 2022
Hoffnung
Man glaubt kaum, wie viele Farbabstufungen die Farbe „Grün“ haben kann! Wenn Sie jetzt in die Natur gehen, entdecken Sie an jeder Ecke neue Nyancen! Der Frühling ist eine Offenbarung!
"Frühling", gemalt von Dr. Gunhild Kilian-Kornell
Ich erlebe ihn jedes Jahr aufs Neue wie ein Wunder. Die Natur macht uns so deutlich, dass nichts völlig verschwindet, dass immer etwas Neues, Bekanntes oder Anderes entsteht.
Neuanfang—Durchstarten—Wachsen—Gedeihen—der Beginn des Lebens spiegelt sich in der Natur!
Ich könnte in keinem Land leben, in dem die Jahreszeiten nicht offensichtlich sind. Der Wechsel, die Entwicklung, der Aufbruch, das Wachsen und auch das Vergehen--- das ist LEBEN!
Der Volksmund sagt: Grün ist die Hoffnung!
Gerade jetzt brauchen wir genau dies: Hoffnung!
Tauchen Sie ein in die Vielfalt der Farbe „Grün“, schöpfen Sie Kraft und Hoffnung aus der großen Natur, jeden Tag, leben Sie in und mit ihr!
Bleiben Sie behütet.
Dr. Gunhild Kilian-Kornell
Mitglied des KV Starnberg
Kolumne April 2022
Osterbräuche
Auf der ganzen Welt gibt es Osterbräuche und oft haben Familien noch ihre eigenen Bräuche und Rituale dazu entwickelt. Bei uns wurde z.B. in der Familie immer ein Osterkranz gebacken und mit gefärbten Eiern auf dem Ostertisch dekoriert.

Besonders freue ich mich, seit ich mit meinem Mann in Wangen wohne, auf das gemeinsame Osterfrühstück mit Freunden, ganz ökumenisch! Wenn wir zusammen essen, trinken und singen, teilen wir einen Apfel und ein Ei in so viele Teile, wie Personen am Tisch sitzen. Das soll die Freundschaft auch während des kommenden Jahres erhalten. Je nachdem, wie viele Menschen am Tisch sind, fallen die Stücke auch einmal sehr winzig aus, aber das tut der Freundschaft keinen Abbruch.
Viele der Bräuche sind heidnischen Ursprungs und grenzen an Aberglauben. Doch es ist schön, in Gemeinschaft diese Rituale zu pflegen. Das fängt schon mit dem Binden der Palmbuschen und dem Sammeln der Kräuter für die Grüne Soße am Gründonnerstag an. Und am Karfreitag verschwinden die Glocken, um dann am Ostersonntag wieder kräftig zu läuten und die frohe Botschaft der Auferstehung Christi zu verkünden.
Gerade in der Zeit, in der wir heute leben, bringt eine frohe Botschaft Hoffnung und Fröhlichkeit unter uns. Obwohl wir uns ja gerade jetzt oft fragen: haben wir eigentlich noch etwas zum Lachen?
Aber kennen Sie das Osterlachen? Risus paschalis auf Lateinisch.
Ich kannte es auch nicht. Also zog ich Wikipedia zu Rate und wurde natürlich fündig.
„Osterlachen, auch Ostergelächter genannt, bezeichnet den Brauch, in der Predigt an Ostern die Teilnehmer an einem Gottesdienst durch eine lustige Geschichte oder einen Witz zum Lachen zu bringen. In Bayern war es vom 14. bis 19. Jahrhundert fester Bestandteil des christlichen Brauchtums“.
Grundanliegen des Osterlachens war es, die Osterfreude zum Ausdruck zu bringen und damit den Sieg über den Tod symbolisieren, der sich an Christus verschluckt hat.
In der evangelischen Kirche wird das Osterlachen nicht mehr zelebriert, doch es ist ein guter Gedanke, dass es in der jetzigen Zeit sehr wohl mindestens einen Grund zur Fröhlichkeit gibt!
In diesem Sinne: Frohe Ostern!
Dr. Gunhild Kilian-Kornell
Mitglied des KV Starnberg
Kolumne März 2022
Rückzugsorte
Geht es Ihnen auch manchmal so, dass Sie dem Lärm entfliehen möchten, zur Ruhe kommen und nachdenken möchten?
Vor einigen Jahren habe ich weitgreifende Entscheidungen treffen müssen und dachte: wo kann ich den Überblick besser bekommen als auf der Zugspitze?
Gesagt, getan. An einem normalen Wochentag packte ich meinen Rucksack mit Brotzeit, Getränk und Schreibzeug, nahm Wanderschuhe und Stöcke mit und fuhr mit der ersten Zahnradbahn hinauf. Ich wollte mir ein Plätzchen suchen, an dem ich in Ruhe nachdenken konnte. 10 Jahre zuvor war dies eine sehr gute Idee.
Nicht aber jetzt! Als ich aus der Bahn stieg, schallte mir grauenvoll laute Musik (eher Lärm) entgegen, das Plateau war bereits voller Menschen und auf dem Weg zum Gipfel strebte eine Menschenkette wie die Ameisen dem Gipfel entgegen. Weit und breit kein ruhiges Fleckchen.
Ich machte auf dem Absatz kehrt und nahm die nächste Gondel nach unten.
Vielleicht mache ich noch eine Runde um den Eibsee? , dachte ich. Mitnichten, auch dort wanden sich Menschenmengen.
Unverrichteter Dinge fuhr ich wieder nach Hause, setzte mich auf die Terrasse in meinen Strandkorb (mein Meer in Bayern), mit der Erkenntnis: auch hier komme ich zur Ruhe, kann nachdenken! Und Entscheidungen fällen!
Rückzugsorte finden sich überall, auch ganz in der Nähe. Man muss nicht auf den Berg oder in die Wüste gehen, um alleine zu sein und denken zu können!
Der Wald, ein ruhiger Raum, der Blick auf das Meer, ein Kirchenschiff, natürlich die Berge auch aus der Ferne, das Insichversenken, die Meditation, das Gebet!
All das und mehr hilft uns, den Lärm und die Ablenkung für kurze Zeit auszuschalten, um wieder zur Besinnung zu kommen, Kraft zu schöpfen, den Kopf frei zu machen, klarer zu denken und zu fühlen, die Perspektive zu wechseln, eine andere Sichtweise einzunehmen.
Gerade jetzt, zu einem Zeitpunkt, an dem unser gewohntes Sicherheitsgefühl durch einen unsinnigen Krieg völlig auf den Kopf gestellt wird, ist es wichtig, klaren Kopf zu behalten und das Gottvertrauen nicht zu verlieren.
Mein liebster Rückzugsort liegt an der Ostsee, an der Steilküste bei Travemünde (Foto).
Schauen Sie gerne auf das Foto und schöpfen Sie Kraft und Hoffnung!
Dr. Gunhild Kilian-Kornell
Mitglied des KV Starnberg
Kolumne Februar 2022
Februar
Monat des wiederkehrenden Lichtes und des Wandels

Obwohl der Frühling offiziell bei uns erst am 20.03. in jedem Jahr beginnt, gilt doch der Februar als letzter Wintermonat.
Die Tage werden bereits spürbar länger, wenn dazu noch Schnee liegt bemerken wir die Helligkeit ganz besonders.
Nicht umsonst wird in der keltischen Mythologie am 2.2.eines jeden Jahres „Imbolc“ gefeiert, das der keltischen Göttin Bridget geweihte Fest der Wiederkehr des Lichtes. Der Name „Imbolc“ heißt so viel wie „Rundumwaschung“. Es ist ein Reinigungsritual, mit dem die Frühlingsgöttin die Wintergöttinnen ablöst und das Leben neu erwacht. Bridget war die Göttin des Feuers, die einen Lichtstrahl mit sich trug, der im übertragenen Sinne für das Erwachen der Lebensfreude und der Erotik steht. Daher kommt wohl auch der Ausdruck: Frühlingsgefühle!
Mit Bridget steigen in der keltischen Mythologie im wiedererwachten Licht elementare mythische Wesen vom Himmel herab, wie z.B. der Bär. Die Zeit dieser Göttin, die bis zum 1.Mai dauert, steht im keltischen Kalender für den Lebensabschnitt der Kindheit und wird durch das spielerische, phantasievolle und kraftvolle Wachsen der gesamten Natur gekennzeichnet.
Symbolisch findet sich diese Mythologie auch in Märchen wieder, sehr deutlich z.B. in „Schneeweisschen und Rosenrot“. Die beiden Mädchen stehen mit ihren Namen für die Verwandlung des schneereichen Winters in die warme Jahreszeit der Rosen. Der Bär, in der keltischen Mythologie ja der Begleiter Bridgets, ist im Märchen ein verwandelter Prinz, durch den die kindlichen Mädchen zu jungen Frauen erwachen.
Christlich umgewandelt wurde aus dem Fest der Bridget „Maria Lichtmess“, die Feier der Reinigung der Maria nach der Geburt Christi. Genau 40 Tage nach der Geburt eines Jungen, sollte laut alttestamentarischer Überlieferung, dieser im Tempel vorgestellt werden. Gleichzeitig mussten sich ihre Mütter einer rituellen Reinigung unterziehen, um wieder „rein“ zu sein. Der Zeitabstand zwischen Weihnachten und „Imbroc“ passt genau.
Bis heute halten sich zudem die Riten der Lichtweihe im Brauchtum nahezu europaweit. In manchen Ländern und Gemeinden werden frische Kerzen geweiht, um das Feuer neu zu entfachen. Symbolisch wird der Weihnachtsbaum vor allem in Süddeutschland oft erst an diesem Tag entsorgt.
Altem Brauchtum zufolge war Lichtmess bis ins 20. Jahrhundert der offizielle Beginn des Bauernjahres. Die Dienstboten und Knechte wurden ausbezahlt und mussten sich eine neue Arbeitsstelle suchen.
Viel Bedeutung kommt dem Februar zu, mehr als man meinen möchte.
Möge dieser Monat uns die Augen öffnen für das Neue, das Wandelbare, das Licht und die Menschenliebe.
Dr. Gunhild Kilian-Kornell
Mitglied des KV Starnberg
Kolumne Januar 2022
Luther und die Gummibärchen
Kennt jemand noch das „Tagebuch eines frommen Chaoten“? Anfang der 1990er-Jahre war das der Bestseller unter den Jugendlichen unserer kleinen fränkischen Kirchengemeinde. Der Brite Adrian Plass nahm darin heiter-ironisch seine evangelikal angehauchten Mitchristen aufs Korn. Da wir mit Jugend- und Lobpreisgottesdiensten, Hauskreisen und Bibelfreizeiten seinerzeit ganz ähnlich unterwegs waren, fühlten wir uns nicht selten selber ertappt – konnten aber meist herzlich über uns selber lachen.

Eine Eigenschaft des frommen Chaoten ist mir bis heute gut in Erinnerung geblieben: Er maß die Sonntagspredigten, die er in seiner Gemeinde hörte, in Gummibärchen. Genauer: in der Anzahl, der von ihm während der Predigt gegessenen Gummibärchen. Ein ähnliches Verhalten legten übrigens unsere Kinder in ihren früheren Tagen in der Friedenskirche an den Tag. Allerdings aus etwas irdischeren Gründen.
Der Zusammenhang von Süßem und Theologischem hat dabei einen durchaus historischen Hintergrund. Im Judentum wird das Erlernen der Buchstaben schon früh von einer süßen Tradition begleitet. Der Lehrer schreibt auf einer Schiefertafel die ersten und die letzten Buchstaben des Alphabets. Die ersten vier Buchstaben vorwärts, die letzten vier rückwärts. Er liest sie vor. Der Schüler spricht sie nach. Dann bestreicht der Lehrer die Schreibtafel mit etwas Honig, und der Schüler darf diesen von den Buchstaben lecken. So lernt er das Alphabet von vorne und von hinten. Das Erlernen der Buchstaben ist der verheißungsvolle und süße Weg hin zum Erlernen der Heiligen Schrift – und so der Weg zu Gott.
Für Martin Luther bildete die Auslegung der Heiligen Schrift bekanntlich das Zentrum des Gottesdienstes. „Der Prediger, oder welchem es befohlen wird“, so schreibt er in seiner Schrift Von der Ordnung des Gottesdienstes von 1523, soll „herfur treten, und dieselb Lection ein Stuck auslegen, daß die Andern alle verstehen, lernen und ermahnet werden.“ So gilt es bei uns Lutheranerinnen und Lutheranern im Kern bis heute. Auch in unserer Friedenskirche.
Im Alten Testament findet sich dazu ein schönes Bild für den Zusammenhang von Süßem und Theologischem beim Propheten Hesekiel, dem von Gott bei seiner Berufung in einer Vision eine Schriftrolle gereicht wird. Und Gott sprach zu ihm: „Iss diese Schriftrolle und geh hin und rede zum Hause Israel! Da tat ich meinen Mund auf und er gab mir die Rolle zu essen und sprach zu mir: Du Menschenkind, gib deinem Bauch zu essen und fülle dein Inneres mit dieser Schriftrolle, die ich dir gebe. Da aß ich sie, und sie war in meinem Munde so süß wie Honig.“
Vielleicht war sie auch so süß, wie die Gummibärchen von Adrian Plass. Wie auch immer – aus der Süße erwächst für Hesekiel, Adrian und auch für uns eine Verantwortung. Ein Auftrag. „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein“, wie es im Jakobusbrief heißt. Nehmen wir ihn mit, diesen süßen Auftrag. Aus dem Gottesdienst. Aus der Predigt. In unseren Alltag hinein. Mit oder ohne Gummibärchen.
Ihr
Dr. Philipp Hildmann