Kolumne Juni 2021
Mitgefühl
Zu Recht, meine ich, hat dieses Foto von Mads Nissen den Hauptpreis als „World-Press-Photo 2021“ gewonnen.
Wie keine andere Situation zeigt diese Umarmung nach langer Coronazeit tiefes Mitgefühl!
Für mich als Betrachterin ist die Umarmung spürbar trotz des „Umarmungsvorhangs“, der wie Engelsflügel anmutet!
Mitgefühl bedeutet, dass mir die Notlage eines anderen bewusst wird, ohne dass ich sie zwangsläufig verstehen muss, aber nachvollziehen kann. Indem ich empathisch bin, spüre ich die emotionale Verfassung des anderen Menschen und seine Bedürfnisse und handele entsprechend.
Mitgefühl ist ein ganz entscheidender Faktor für die emotionale Intelligenz des Menschen! Und nicht zu verwechseln mit Mitleid, das nicht zu zwischenmenschlichem Handeln führt.
Warum berührt uns dieses Foto sofort? Weil wir etwas vermissen?
Ist uns das Mitgefühl in der Pandemie etwa abhandengekommen?
Wir werden täglich mit nackten Zahlen über die Erkrankungen, Inzidenzen und Todesfälle der nahezu alles beherrschenden Pandemie konfrontiert!
Dieser Reduktion einer weltweiten Katastrophe auf Zahlen wohnt etwas zutiefst Unmenschliches inne!
Jedem dieser sogenannten „Fälle“ liegt ein menschliches Schicksal zugrunde—Menschen, die einsam sterben, Angehörige, die nicht Abschied nehmen können, Kranke und alte Menschen, die sich allein gelassen fühlen, Kinder und Jugendliche, die wegen der Coronamaßnahmen wichtige Entwicklungsschritte in ihren Altersgruppen nicht so erleben dürfen, wie sie sinnvoll und notwendig sind, Menschen, die um ihre Existenz bangen und letztendlich Menschen aller Altersgruppen, die auch psychisch erkranken, weil die Belastungen zu stark sind. Es werden immer mehr Maßnahmen gegen die Pandemie generiert, die menschlich einschneidendste ist jedoch die Kontaktbeschränkung!!
Wo bleiben Achtsamkeit und Mitgefühl? Wo bleibt die Menschlichkeit?
Mitgefühl kann man nicht staatlich verordnen!
Aber: Mitgefühl und Menschlichkeit sind überlebensnotwendig!
Und alle großen Weltreligionen sind in der einen oder anderen Form darauf aufgebaut!
Darum sind wir Alle gefragt, jede und jeder Einzelne!
Das klingt genauso banal wie es auch einfach umsetzbar ist!
Und es fängt bei mir selbst an!
Nur, wenn ich meine Gefühle kenne, sie zulasse und reflektiere sowie die Auslöser meiner Emotionen verstehe, bin ich offen für andere und in der Lage, mich in andere hinein zu fühlen: Mit-Zu-Fühlen.
Geht es Ihnen nicht auch so, dass Sie manchmal sogar leichter Mitgefühl für Fremde aufbringen, als für Angehörige oder gar für sich selbst?
Angehörige fordern oft viel, vor allem, wenn sie selbst nicht mehr selbständig sein können und dadurch frustriert sind. Gerade auch jetzt, wo Corona den Bewegungs-Radius noch weiter einschränkt. Damit können sie uns überfordern und uns oft an den Rand der Toleranz bringen.
Da hilft es, auch Mitgefühl mit sich selbst zu haben, einen Schritt zurück zu treten und inne zu halten: Gerade in dieser merkwürdigen, traurigen, fordernden Zeit, die alles auf den Kopf stellt.
Und vielleicht ist das die Lehre aus der Pandemie:
Wahrnehmen—erkennen—mitfühlen—handeln! Sind die Schritte!
Umarmungen—menschliche Nähe—MITGEFÜHL ist das TUN!
Schweige und höre Neige deines Herzens Ohr Suche den Frieden
Dieser Text aus unserem Gesangbuch ist hier so zutreffend und lädt zur Meditation ein!
Werfen Sie immer wieder einen Blick auf das Foto, lassen Sie Sich darauf ein.
Dr. Gunhild Kilian-Kornell
Mitglied des KV Starnberg