Kolumne März 2018
"Nachgedacht"
Fastenzeit – eine Zeit des Verzichts: 7 Wochen ohne…
Die Passionszeit hat als Fastenzeit einen festen Platz in unserer Gesellschaft. Bewusst verzichten Menschen in den Wochen vor Ostern auf Konsumgüter wie Schokolade, Fleisch, Nikotin oder Alkohol. Für die einen ist dieser Verzicht religiös begründet. Er soll helfen, die Passion und Auferstehung Jesu ein Stück weit körperlich nachempfinden zu können. Aber auch im nicht religiösen Leben erfährt die Fastenzeit Wertschätzung: Wellnessoasen überbieten sich gegenseitig mit Angeboten zum „Heilfasten“, zur Entschlackung des Körpers, zur Beseitigung der über die Wintermonate zulegten Fettposter. Die Fastenzeit wird als Kur verstanden, als Verzicht auf „ungesunde“ Kalorien mit dem Ziel, den Körper zu stärken und ein Gefühl von Gesundheit zu erlangen.
Seit einiger Zeit lädt die evangelische Kirche zu einem Verzicht ein, der ganz anderer Art ist: es geht um den Verzicht auf Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die unseren Alltag bestimmen und gleichzeitig oft das versperren, was unser Leben bereichert. „7 Wochen ohne“ lautet die Aktion, deren Idee in den 80er Jahren geboren wurde, und die seit 2008 unter diesem Titel bekannt ist. 7 Wochen ohne Geiz“ – so das Motto im ersten Jahr der Reihe. Und es folgten andere: „7 Wochen ohne Vorsicht“, „ohne falsche Gewissheiten“, „ohne falschen Ehrgeiz“, „ohne Zaudern“, „ohne Ausreden“, „ohne Sofort!“ Die Aktion spricht Menschen an. Wenn man den Zahlen trauen darf, dann kann man nur staunen: 1989 nahmen rund 500.000 Menschen an der kirchlichen Fastenaktion teil. Mittlerweile sind es laut einer Emnid-Umfrage jährlich mehr als 3 Millionen Menschen in Deutschland, die bewusst bei der Fastenaktion der Evangelischen Kirche mitmachen. Ein wichtiger Grund dafür ist die Aktualität der Themen, die mit dem Bewusstsein korrespondiert, dass die angesprochenen Themen uns alle betreffen, unabhängig davon, wie es um unseren Glauben bestellt ist. Das gilt auch für das Fastenmotto in diesem Jahr: „Zeig Dich! Sieben Wochen ohne Kneifen“. An was denken Sie bei diesem Titel? Mir fallen Beispiele gelebter Zivilcourage ein. Menschen, die den Mund aufmachen und nicht schweigen, wenn sie sehen, dass Unrecht geschieht. Männer und Frauen, die sich für Menschenrechte einsetzen und in Kauf nehmen, für ihren Einsatz selbst angegangen zu werden. Mir fallen Namen wie Deniz Yücel ein, der für viele andere steht, deren Namen nicht bekannt sind. Oder der Name der Geschwister Scholl, die sich – wie die anderen Mitglieder der Weißen Rose – gegen den Apparat der Unmenschlichkeit und der Diktatur des Nazi-Regimes gewehrt haben. Das Fastenmotto in diesem Jahr will uns ermutigen, uns nicht weg zu ducken, nicht zu kneifen. Nicht im Großen, aber erst recht nicht im Alltag. Denn auch hier gibt es genügend Anlässe, sich so oder anders zu verhalten: In der U-Bahn, im Supermarkt, am Arbeitsplatz.
Nicht kneifen – das gilt nicht nur für Christen. Als Christen aber haben wir einen guten Grund, den Kopf nicht einzuziehen, sondern Stellung zu beziehen. An diesen Grund erinnert die Passionszeit, die ja nicht nur für das Leiden Jesu steht, sondern vor allem die Leidenschaft Gottes sichtbar macht. Es ist die Chance der Fastenzeit, im „ohne“ den Gewinn, die Bereicherung, den Neuzugang zu Gott und zum Leben zu entdecken – eine Erfahrung, die über die 7 Wochen des Verzichts hinausreicht.
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Reichenbacher
Pfarrerin