Kolumne Juli 2019
„Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn.“
Monatsspruch für den Juli aus dem Jakobusbrief, Kapitel 1 Vers 19
In diesem Jahr warten nach den spannenden Fußballturnieren, dem Tennis in englischen Wimbledon und den Rennfahrern der Tour de France keine Olympischen Spiele auf uns, sonst wäre dieser Zusammenhang meine erste Idee gewesen. Der Bibelvers aus dem Jakobusbrief im Neuen Testament wirkt zunächst wie die umgekehrte Devise „schneller – höher – stärker“ (vom lateinischen citius, altius, fortius). Als die olympischen Spiele der Neuzeit geplant wurden, hatte Pierre de Coubertin die Redewendung, die er bei einem französischen Schulsportfest zum ersten Mal selbst hörte, in der Schlusssitzung des Gründungskongresses des IOC (Internationales Olympisches Komitee) im Jahr 1894 als Motto vorgeschlagen. Es dauerte freilich noch 30 Jahre, bis der Satz bei den Pariser Spielen 1924 dann auch verwendet wurde.
Statt der steten Steigerung rät der Jakobusbrief zur spürbaren Entschleunigung. Unser Hören geht schnell. Unser Reden folgt darauf meist zu schnell. Und das, was wir manchmal damit anrichten, kann dazu führen, dass unvermittelt die nächsten hitzigeren Worte folgen. Das „schnell, langsam(er), langsam“ im Brief ist aber auch eine inhaltliche Steigerung. Es achtet auf die Wirkung unserer Kommunikation und will befrieden, was wir sagen, damit es nicht zum unkontrollierten Zorn eskaliert.
Der Jakobusbrief ist ein Schreiben, das noch um die jüdischen Wurzeln des Christentums weiß. Fachleute vergleichen den Brief gerne mit der Bergpredigt Jesu, die im Matthäusevangelium in den Kapiteln 5 bis 7 aufgeschrieben ist. Und auch andere jüdische Texte aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung haben diese Perspektive stets im Blick. So steht in den „Testamenten der 12 Patriar-chen“, einer fiktiven Sammlung des Nachlasses der Namenspatrone der 12 Stämme des Volkes Israel, diese Warnung als die Wichtigs-te am Schluss: Hüte dich davor, Menschen zornig zu machen. Vermeide den eigenen Zorn, so gut du kannst. Wenn es nötig ist, tritt lieber auch dann einen Schritt zurück, wenn du eigentlich im Recht bis (so etwa im „Testamentum Levi“, TestLev 15,3). Der Zorn ist nämlich in der Bibel das Vorrecht Gottes.
Und das ist sicher auch ein beherzigenswerter Hinweis für unseren Sommer: Tritt auf die Bremse beim Zorn. Wenn es dir gegeben ist, spare dir die Widerworte. Und wo es geht, höre erst gut zu, überhöre – wenn nötig – das Freche, das dir darin vermutlich begegnet, so viel du es vermagst, und antworte möglichst nicht mit gleicher oder schrillerer Tonlage. Diese Mahnung richtet der Jakobusbrief an alle Menschen, wir können sie also auch allen Menschen gegenüber beherzt anwenden …
An Feldern, die sich für einen Langzeitversuch an der eigenen Geduld eignen, mangelt es uns vor Ort gewiss nicht. Noch auf der kürzesten Strecke mit dem Mofa unterwegs durch die Gemeinde hin zu den Menschen habe ich fast täglich Gelegenheit, als Klügerer (und Schwächerer) nachzugeben oder den Rad Fahrenden oder zu Fuß gehenden Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrs-teilnehmern freundlich zu begegnen. Auch wenn die antiolympische Devise aus dem Jakobusbrief kein ausdrücklich christlicher Leitsatz ist, an dem man uns in der Öffentlichkeit erkennen sollte, zur Haltung darf er auch uns werden. Wir werden keinen gewohnheitsmäßigen Raser oder aktuell einigen Drängler dadurch „bekehren“ oder auch nur zum Nachdenken bringen. Aber wenn mir unterwegs die frische Luft der kommunikativen Freundlichkeit um die Nase weht, tut mir das ja immer auch mir selbst gut.
Pfarrer Dr. Stefan Koch